Coaching unterstützt Führungskräfte und Mitarbeiter dabei, produktive Distanz zu halten.

In vielen beruflichen Zusammenhängen ersetzt seit geraumer Zeit ein lockeres Du das mutmaßlich steife Sie. Während Siezen den alten Muff entfremdeter, autoritätsfixierter Arbeit auszudrücken scheint, verspricht Duzen Vorgesetze, Mitarbeiter und Kollegen als Menschen begegnen zu können. Du impliziert in beruflichen Beziehungen insofern ein Mindestmaß an freundlicher Verbundenheit, als das Du eine umfangreichere Thematisierung von Privatangelegenheiten erlaubt als ein spezifisches Sie.

Angebot zum Du beim Feierabendbier

Während Sie das Gegenüber auf Distanz hält und Gesprächspartner vor zu viel “Privatheit” schützt, ermöglicht Du den Eintritt in die Welt der ganzen, das heisst auch der privaten Person. So wird das Du meist in nicht fachlich-förmlichen Zusammenhängen angeboten, sondern auf dem Flur, in der Kaffee-Ecke oder beim Feierabend Bier. Folglich wird das Angebot zum Duzen nur dann unterbreitet, wenn freundschaftliche Neigungen vorherrschen oder unterstellt werden und mindestens ein Akteur – im Falle einer „Duzkultur“ eine ganze Organisation – die Zumutung der Begrenzung des Sie nicht erträgt.

Kosten des Du                                                                                

Der Gewinn des vermeintlich unkomplizierten Du verkehrt sich freilich ins Gegenteil, sobald die (unterstellte) Freundschaft mit der Durchsetzung sachbezogener Notwendigkeiten, die berufliche Rollen mit sich bringen, in Konflikt gerät. Dann stellt sich die Frage, welches Argument Geltungsanspruch erhebt: freundschaftlich, diffuse Verbundenheit vom Feierabendbier oder spezifisch sachbezogene Interessendurchsetzung und Kritik im Rahmen arbeitsweltlicher Wirklichkeit. In diesem Sinne öffnet Du in beruflichen Zusammenhängen einen anderen, unübersichtlicheren Möglichkeitsraum als distanziertes Siezen.

Siezen stützt spezifische Distanz und kostet Nähe, duzen fördert Nähe zulasten spezifischer Distanz.

Duzen am Arbeitsplatz mag „entspannter“ und „natürlicher“ erscheinen, faktisch erhöht Du die Beziehungskomplexität und damit die Wahrscheinlichkeit von „angespannten“ Beziehungsdynamiken und Entgrenzung. Dies wird klar, wenn wir uns vor Augen führen, dass berufliche Beziehungen der Sache nach spezifische Konstellationen sind, familiäre, freundschaftliche Beziehungen dagegen ganzheitliche Zusammenhänge. Eine Vermengung beider Beziehungsdimensionen – die Du im Unterschied zum Sie begünstigt – führt zu erhöhtem Konfliktpotenzial. Damit sei keinesfalls gesagt, dass ganzheitliche Elemente in arbeitsweltlichen Zusammenhängen per se konflikthaft verlaufen müssen, sie erfordern jedoch mehr und nicht weniger Komplexitätsbewältigung. Duzen mündet demnach nicht in weniger Anstrengung, sondern, im Sinne permanenten Klärungsbedarfs von Grenzen, in „Beziehungsmehrarbeit“. Erkenntnisreich ist hier, dass das englische you nicht etwa Du bedeutet, sondern Sie. Indem im Englischen Sie sowohl in ganzheitlichen als auch rollenförmigen Zusammenhängen die sprachliche Normalform ist, ist die englische Sprache also mit Blick auf die Privatsphäre von Gesprächspartnern sehr viel vorsichtiger.

Du belastet vor allem die Arbeit von Führungskräften

Die allgemeine Problematik von Duzbeziehungen in arbeitsweltlichen Zusammenhängen trifft insbesondere Führungskräfte, weil diese für die Durchsetzung von Organisationsinteressen – und damit einhergehend Kritik an den ihnen unterstellten Organisationsmitgliedern – verantwortlich sind. Der strukturelle Konflikt zwischen ganzheitlicher, freundschaftlicher und rollenförmiger, sachlicher Handlungsorientierung ist im Falle von Duzbeziehungen zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter damit in potenzierter Art und Weise vorhanden. Führungskräfte, die ihnen Unterstellte duzen, mildern über das anschmiegende Du die unnachgiebige Logik der Hierarchie, ohne diese freilich außer Kraft setzen zu können. Du hebt die Anforderungen in rollenförmigen, hierarchisch geordneten Handlungszusammenhängen nicht auf, sondern verweist erst auf deren Eigengesetzlichkeit im Unterschied zu ganzheitlich, lebensweltlichen Kontexten. Führungskräften wird dies vor allem dann deutlich, wenn ihre Interessen mit denen ihrer Mitarbeiter nicht reibungslos einhergehen, sondern die Differenz zwischen beiden ein Maß erreicht hat, das den Organisationsbestand – sei es in sachlicher oder sozialer (hierarchischer) Hinsicht, sei es real oder imaginiert – gefährdet und es daher ihrer Intervention bedarf. Nicht selten wird das vermeintlich erleichternde Du an dieser Stelle zur Last. Erklärungsbedürftig ist dann nämlich, warum sich in einer hierarchiefreien Gemeinschaft der Duzenden plötzlich wieder Argumente durchsetzen, die sich schlussendlich über die Besetzung einer hierarchisch höheren Position legitimieren.

Umgangssprachlich zusammengefasst: „Es sagt sich leichter: du Arsch, als: Sie Arsch“. Duzen mag einiges erleichtern, es macht vieles aber auch komplizierter.

Fünf Tipps für Führungskräfte

  • So sie mit ihren Mitarbeitern noch nicht per Du sind, sollten Führungskräfte dem Sog des Du widerstehen und sich im zugewandten Distanzhalten üben. Ein zugewandtes Sie drückt Anerkennung und Respekt aus und sichert ein langfristig belastbares Arbeitsverhältnis.
  • So sie mit ihren Mitarbeitern schon per Du sind, sollten Führungskräfte sich dennoch im zugewandten Distanzhalten üben. Das kann zum Beispiel heißen: den gemeinsamen Grillabend mit dem Team nicht als letzter, sondern eher als erster zu verlassen oder nicht jede Mittagszeit mit den Mitarbeitern zu verbringen oder sich im E-Mailverkehr stetig an Höflichkeit und Sachlichkeit zu orientieren. Zugewandtes Distanzhalten trägt zu einer gesundheitsförderlichen Arbeitsbeziehung von Mitarbeitern und Führungskräften bei.
  • Führungskräfte sollten sich mit anderen Führungskräften ihrer Organisation vernetzen und regelmäßig austauschen. So erfahren sie, wie die Kollegen „führen und geführt werden“ und erleben kollegiale Verbundenheit, die die Kosten des Distanzhaltens erträglicher macht.
  • Mitarbeiter suchen Orientierung. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitern deshalb stetig zeigen, woran diese bei ihnen sind z.B. in dem sie klare positive aber wenn nötig auch negative Kritik üben.
  • Führungskräfte müssen beachten: Einmal Du, immer Du. Wer sich einmal duzt, kommt ohne eine Krise für alle Beteiligten nicht mehr zum Sie.

P+O GmbH für Organisationsberatung, Coaching und Supervision Berlin unterstützt Führungskräfte und Mitarbeiter dabei, produktive Distanz zu halten.

Coaching dient unter anderem der Reflexion und der Weiterentwicklung hierarchiesensibler, kollegialer und multiprofessioneller Zusammenarbeit. P+O unterstützt Führungskräfte und Teams dabei, mit einer bereits etablierten „Duz-Kultur“ konstruktiv umzugehen und Konflikte zu ermöglichen (!) oder eine „Siez-Kultur“ beziehungsorientiert zu gestalten.

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