Konflikte inszenieren sich meist zwischen Menschen, dabei liegt die Konfliktursache meist auf einer anderen Ebene.
In der Regel kristallisieren sich Konflikte zwischen Menschen heraus. Dies legt die Vermutung nahe, dass Konflikte vor allem etwas Zwischenmenschliches sind. Bei der Suche nach Konfliktursachen beschränkt diese Perspektive den Blick auf Personen. In der Regel treten Personen in Organisationen jedoch als Rollen- oder Funktionsträger auf und sind damit in Organisationsstrukturen eingebunden. Organisationsstrukturen bringen Eigendynamiken hervor, die jenseits individueller Eigenschaften von Personen liegen. Dysfunktionale Organisationsstrukturen sind häufig die eigentlichen Konflikttreiber.
Konfliktreiber Nr 1.: dysfunktionale Organisationsstrukturen
Seit einigen Jahren hat das Managementkonzept Agilität Konjunktur. Es ist mit dem Anspruch verknüpft, Patentlösungen für Grundprobleme der Kooperation in Organisationen angesichts sich dynamisch verändernden Organisationsumwelten bereitzustellen. Sogar das traditionsreiche Feld der Banken hat das Thema Agilität für sich entdeckt. So beschreibt sich die ING-Diba AG an prominenter Stelle ihrer Internetpräsenz wie folgt: »Seit dem Sommer 2019 arbeiten alle Organisationseinheiten der ING in Deutschland agil. Das Institut ist damit die erste Bank in Deutschland, welche die gesamte Organisationsform konsequent auf agiles Arbeiten ausrichtet.«
Agilität trifft Hierarchie
Die Selbstbeschreibung der ING-Diba AG überrascht. Banken sind in ihren bankfachlichen Kernprozessen vornehmlich durch rechtliche Regulation fremdbestimmt. Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben sind in ihrem Regelungsgehalt meist eindeutig, konkret oder zumindest mit begrenzenden Ermessensspielräumen ausgestaltet. Die Strukturmerkmale des Agilitätskonzepts sind hingegen auf das ganze Gegenteil ausgerichtet:
- Abbau von formaler Hierarchie,
- Auflösung von Abteilungsgrenzen und Zurücknahme von Formalisierungen – mithin die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten und Steigerung von Autonomie.
Der von der ING Diba AG öffentlichkeitswirksam beschriebene organisatorische Veränderungsprozess von einer hierarchischen zu einer agilen Organisationsform verspricht vor diesem Hintergrund herausfordernde Problem- und Konfliktlagen.
Konfliktursachen jenseits der Person in Betracht ziehen
Treten in einer Bank wie der ING Diba AG in Folge einer „agilen Transformation“ Konflikte auf, wird die Ursache meist individuellen Akteuren oder persönlichen handwerklichen Fehlern zugerechnet. Meist inszeniert sich der Konflikt ja auch interpersonal. Als Standarderklärungen kommen beispielsweise in Frage:
- »[…]„fehlende Konsequenz bei der Umsetzung der Ergebnisse“,
- „mangelnde Information und Kommunikation“,
- „zu wenig analytisches und methodisches Vorgehen“,
- „inkonsequentes, halbherziges Vorgehen“,
- „falsche Zeit- und Zielvorgaben“,
- „mangelnde Professionalität der Beteiligten“,
- „fehlendes Vorleben des obersten Managements“,
- die geringe Einbeziehung der „Betroffenen“,
- das Fehlen von „Mut und Durchhaltevermögen“ und
- das „Festhalten an Abläufen“[…]« (vgl. Maisberger 1996).
Organisationsberatung ermöglicht eine externe Perspektive und hilft dabei, Ursachenforschung jenseits personeller Zuschreibungen zu betreiben.
regulatorischen Vorgaben stehen der agilen Idee spannungsgeladen gegenüber
Eine organisationsberaterisch informierte Perspektive auf das Konfliktgeschehen eröffnet sich, wenn man die besondere Organisationsdynamik von Banken zum Managementkonzept Agilität ins Verhältnis setzt. Das Ergebnis zeigt: Die regulatorischen Vorgaben stehen den Strukturmerkmalen des Agilitätskonzepts spannungsgeladen gegenüber.
Innovation vs. Regeltreue: ein Fallbeispiel
Wenn eine Mitarbeiterin – motiviert durch die Aufforderung zu mehr Eigeninitiative, Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme – einen Vorschlag zur Verbesserung eines Kreditvergabeprozesses für Privatkunden macht, mag dies im Sinne des Agilitätskonzeptes legitim und wünschenswert sein. Der konkrete Vorschlag muss jedoch in einem zweiten Schritt den regulatorischen Rahmenbedingungen, wie z.B. den Mindestanforderungen an das Risikomanagement in Banken (MaRisk), entsprechen.
In diesem Fall kann der eigeninitiativ eingebrachte Vorschlag für eine Prozessinnovation mit den regulatorischen Vorgaben der BaFin in Konflikt stehen. Eine Mitarbeiterin aus dem Bereich Risikocontrolling oder Compliance würde womöglich den Verbesserungsvorschlag in den Kontext der MaRisk einordnen und ablehnen. Sichtbar würde ein solcher Konflikt zwischen den beiden Mitarbeiterinnen.
Die Ursache für diesen Konflikt in den individuellen psychischen Präferenzen (Innovation vs. Regeltreue) der Mitarbeiterinnen zu vermuten, mag in der Praxis als entlastender Erklärungsversuch taugen. Letztlich bleibt er jedoch psychologischer Reduktionismus, der unangemessen nur die handelnden Personen, nicht aber den spannungsreichen strukturellen Hintergrund sowie die damit verbundene besondere Organisationsdynamik in den Blick nimmt.
Organisationsberatung für nachhaltige Problemlösungen
Organisationsberatung kann dabei unterstützen, die Ursachen eines Konfliktes nicht vorschnell zu personalisieren, sondern angemessen auch die Bedingungen, unter denen gehandelt wird, zu berücksichtigen. Diese Perspektive ermöglicht es, nachhaltige Problemlösungen zu erarbeiten, anstatt durch den Austausch von vermeintlich unfähigem Personal nur Symptome zu bekämpfen.
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Langfassung des Artikels unter:
https://link.springer.com/article/10.1007/s11612-021-00594-6