Viele Forschungsarbeiten zu Schulleiterinnen und Schulleitern sowie darauf basierende Ratgeber und Unterstützungsangebote für Schulen gehen an der schulischen Wirklichkeit vorbei. Sie bauen eine Scheinwelt auf, die mit den Widrigkeiten realen schulleiterischen Handelns wenig gemein hat. In diesem Zusammenhang ist zumindest diskussionswürdig, ob die Rede von der Profession Schulleitung sinnvoll ist. Impliziert sie doch, dass es jenseits fachlich-pädagogischer Fragen und Herausforderungen einerseits sowie allgemeiner Führungsfragen andererseits noch etwas schulleitungsspezifisches Drittes gäbe.

Schulleiterisches Handeln wird zugleich überhöht und geringgeschätzt.

Die Rede von der Profession Schulleitung verkennt den Bedarf an fachlich-pädagogischer Expertise von SchulleiterInnen. Eine Illustration dessen, was hier gemeint ist, bietet der Blick auf die Organisation ärztlichen Handelns. Von der Profession ärztliche Direktion ist eher nicht die Rede. Ein ärztlicher Direktor wird natürlich an seiner Fähigkeit ärztliches Handeln im Rahmen eines Krankenhauses zu organisieren gemessen, selbstverständlich aber ist er vom Beruf Arzt und muss sich als solcher bewährt haben und bewähren. Im Unterschied dazu trägt die Rede von der Profession Schulleitung zur Annahme bei, fachlich-pädagogische Expertise sei für die Leitung einer Schule weniger relevant. Ja, sie könnte überspitzt sogar als Verdrängung interpretiert werden. Verdrängt wird dann das dauerhafte pädagogische Ringen mit dem Infantilen der Heranwachsenden zu Gunsten vermeintlich reifer Leitungs- und Führungsfragen. Ein Schulleiter ist dann nicht von Beruf Lehrer, sondern gehört der „reifen“ Profession Schulleitung an. Für die Entwicklung guter „reflexiver“ Schulen und alltagstauglichen Schulleiterhandelns ist dies kontraproduktiv.

Spezifische Herausforderungen von SchulleiterInnen werden selten benannt.

Wenn der Begriff Profession für die Debatte um schulleiterisches Handelns hier für eher ungeeignet betrachtet bleiben, bleibt noch der Begriff professionell. Was zeichnet professionelle Schulleiter aus? In der Literatur finden sich dazu viele Antworten. Mit Blick auf die Rollenkomplexität der Schuleiterposition heißt es dort meist, professionelle Schulleiter sind:

  • Organisationsentwickler;
  • Personalentwickler;
  • Kummerkasten;
  • Vorbild;
  • Repräsentant;
  • Vermittler;
  • „People Person“;
  • Mediator;
  • Verwalter.

An dieser Aufzählung fällt auf, dass sie einerseits Überhöhung und Überforderung impliziert und damit in der Praxis nur enttäuscht werden kann sowie andererseits, dass sie schulunspezifisch ist. Führungskräfte anderer Berufsfelder dürften sich in der Aufzählung gut wiederfinden. Die spezifischen Leitungsherausforderungen im Rahmen der Schule als Institution und Organisation werden so beiseitegeschoben.

Allgemeine Ratschläge für den schulischen “Wahnsinn” sind wenig hilfreich.

Die Debatte um professionelle Schulleitung berücksichtigt zu wenig die Besonderheiten der Schule als Institution. Die Führung einer Schule wird vielmehr behandelt als ein allgemeiner Fall von Führung in Organisationen. So fallen in der aktuellen Diskussion um erfolgreiches schulleiterisches Handeln allgemeine „Modebegriffe“ wie Leadership, Delegation, Beteiligung, Organisationsentwicklung, lernende Organisation, zuweilen sogar agiles Management und so fort. Die Frage, was es heißt, eine Organisation zu führen, die insbesondere der gesellschaftlich erwünschten Formung Heranwachsender dient, wird dagegen kaum gestellt.

Schulleitern nutzen allgemeine Ratschläge bei der Bewältigung des ihnen alltäglich entgegenschlagenden „Wahnsinns“ nur begrenzt. Sie müssen Tag ein Tag aus mit Interaktionsdynamiken zu recht kommen, die systematisch von Infantilität geprägt sind. Das Klischee, Lehrer agieren außerhalb des Unterrichts wie ihre Schüler, hat eine erfahrungsgesättigte Basis, die sich mit dem Begriff „Sog des Infantilen“ fassen lässt. Dieser Terminus fasst den Umstand, dass die Arbeit im pädagogischen Kontext es unweigerlich begünstigt, als Erwachsener mit der eigenen überwunden geglaubten Infantilität konfrontiert zu werden. Ob man will oder nicht, Schule fördert strukturell eine Regression in infantiles Denken und Handeln. Schulleiter können davon ein Lied singen und müssen damit umgehen.

Schulleitung arbeitet im Sog des Infantilen.

In Korrespondenz zum Sog des Infantilen zeigt sich zudem, dass legitime Einflussnahme – also etwa Themensetzung, die zeitliche Strukturierung von Sitzungen oder sachliche Kritik – im schulischen Kontext eher begründungspflichtig als selbstverständlich ist. In der Folge wird auch die Position des Schulleiters von Kolleginnen und Kollegen mehr oder weniger latent dauerhaft in Frage gestellt. Ein Umstand der mit dem Terminus „Machtverdikt“ beschrieben werden kann.

Die besondere Herausforderung in der Leitung einer Schule liegt folglich in der Bewältigung eines pädagogischen Syndroms, das sich aus dem Sog des Infantilen, einer Kultur des Machverdikts sowie wenig ausdifferenzierten pädagogischen Gütekriterien zusammensetzt. Hinzu kommen schulrechtliche Rahmenbedingungen, die die Position des Schulleiters eher schwächen als stärken.

Nahkampf und Pragmatismus anstatt Visionen

Um eine Schule professionell zu führen, bedarf es angesichts dessen weniger eines Visionärs und Organisationsentwicklers als eines diplomatisch begabten, regressionstoleranten, im “Nahkampf” versierten Pragmatikers. Eine ausgeprägte pädagogisch-fachliche Position, realpolitische Souveränität und persönliche Reife erhöhen die Aussicht, mit den schulischen Besonderheiten erfolgreich umzugehen. Konzentrieren sich die relevanten Entscheidungsträger im schulischen Kontext auf die Entwicklung dieser basalen Dimensionen – im Unterschied zum schulische Verhältnisse verschleiernden Ruf nach Professionalisierung –, werden sie schulleiterischen Herausforderungen gerechter.

Dr. Ronny Jahn ist Autor des Buchs: Im Sog des Infantilen. Schulleitung als Beruf, erschienen bei Springer. Er ist bei p+o für Beratungsanliegen im schulischen Kontext zuständig. Haben Sie Fragen zu unseren Coachingangeboten für Schulleiterinnen und Schulleiter oder Organisationsberatung im Zuge von Schulentwicklungsprozessen? Schreiben Sie ihm, er antwortet Ihnen gern.

(Eine Langfassung des Blogbeitrags ist in der Fachzeitschrift für Schulentwicklung und Schulmanagement: SchulVerwaltung aktuell 1/2019 zum Thema Professionell führen erschienen.)